10. SONNTAG im Jahreskreis
Evangelium nach Markus (3,20-35)
Wenn wir das heutige Evangelium aufmerksam lesen, dann müssen wir feststellen: Jesus hat ein hektisches Leben! Er führt Gespräche mit den Menschen, sie umringen ihn. Sie scheinen sich von ihm angesprochen zu fühlen. Das geht so weit, dass er nicht einmal Zeit zum Essen hat. Wie muss Jesus auf die vielen Menschen gewirkt haben? Er ist für sie faszinierend. Und trotzdem: Wie groß der Zulauf auch gewesen sein mag, Jesus wird allein übrig bleiben. Selbst seine engsten Freunde werden ihn verlassen. Er erlebt die totale Katastrophe, er scheint vollkommen mit seinem Leben und seiner Botschaft zu scheitern, wäre da nicht die Auferstehung, die Auferweckung durch Gott.
Mit seiner Familie hat Jesus es auch nicht leicht. Sie finden es unmöglich, was er da treibt. Der Haussegen hängt schief. Jesus ist das schwarze Schaf der ganzen Familie. Er gibt sich mit Menschen ab, die sie – wie die meisten Israeliten damals – ablehnten und verachteten: Menschen mit üblem Ruf, Zöllner, allgemein Ausgestoßene und Abgeschriebene. Er streitet mit den religiösen Autoritäten, nennt sie sogar Heuchler. Und was beansprucht er da für sich: Dass er im Namen Gottes redet! Das muss geändert werden. Sie wollen Jesus aus dem Verkehr ziehen, nach dem Motto: »So kann er sich nicht aufführen. Er blamiert die ganze Sippe. Und es wird gefährlich!« Und ihm, der mit dem Anspruch auftritt, dass der Geist Gottes auf ihm ruhe, wird unterstellt, von allen guten Geistern verlassen zu sein. Er hat nicht mehr „alle Tassen im Schrank“, er muss verrückt sein.
Aber andererseits ist die Sicht von Jesus auf seine Familie auch eine Herausforderung. Nur Blutverwandtschaft ist ihm zu eng. Wer ist meine Familie? Wer ist meine Mutter, und wer sind die Menschen, die zu mir gehören, meine Brüder und Schwestern? Jeder, der Gottes Willen tut, ist für mich Bruder, Schwester und Mutter! Nur die Beziehung zu Gott ist ausschlaggebend für das Leben. Denn diese färbt ab auf unsere Beziehung zueinander, macht, dass wir ein starkes Band zueinander spüren können, das stärker ist als nur das Blut. Wenn Gott unser Vater ist, sind wir seine Kinder, Geschwister, Brüder und Schwestern. Je mehr wir uns mit Gott verbunden wissen, umso stärker werden wir uns auch miteinander verbunden fühlen. Jesus stellt die Beziehung zu Gott an erste Stelle. Dadurch mindert er nicht den Wert der Familie, sondern sieht sie in der wahren Relation. Deswegen lässt Jesus sich von seinem Weg, die Botschaft Gottes der Welt zu verkünden, auch nicht abhalten von denen, die es „zu gut“ mit ihm meinen. Auch nicht von seiner Verwandtschaft. Er bleibt sich und seinem Gott treu.
Und dann gibt es da noch die harte Auseinandersetzung mit seinen direkten Gegnern, mit den Schriftgelehrten. Sie können die Tatsache nicht leugnen, dass Jesus Menschen von „bösen Mächten“ befreit. Deswegen gehen sie auch nicht auf den wahren Inhalt ein, von dem, was Jesus sagt und tut. Ein ehrliches und sachliches Fragen nach der Wahrheit unterbleibt. Sie wollen ihn nur diffamieren und unglaubwürdig machen. (So wie es auch heute in vielen öffentlichen und politischen Diskussionen der Fall ist.) Sie „verteufeln“ Jesus. Aber Jesus ist schlagfertig. Wenn er mit dem Teufel im Bund stehen würde, würde das heißen: Der Teufel arbeitet gegen sich selbst, indem er Jesu heilendes Wirken und seine Gesinnung der Liebe zu den Menschen durch dämonische Kräfte unterstützt.
Jesus bezieht seine Kräfte aber nicht vom Teufel, sondern von Gott. Seine Gegner wollen nicht wahrhaben, dass es die Kraft, der Geist Gottes, ist der in ihm wirkt. Das ist die so geheißene „Sünde gegen den Hl. Geist“. Wer auf diese Weise Jesu Macht bestreitet und verspottet, dem ist nicht mehr zu helfen; denn er verschließt sich selbst dem erbarmenden und Leben spendenden Geist Gottes. Sie haben ihr Herz total verhärtet. Es kann nicht sein, was nicht sein darf. Wir stoßen hier in dieser Szene auf einen sehr kämpferischen Jesus.
Wenn Menschen sich um Jesus versammeln; wenn sie nach seinem Willen fragen und ihn gemeinsam tun wollen, wenn Geschwisterliebe regiert statt Konkurrenz und Eifersucht, dann entsteht eine ganz neue Gemeinschaft, die Familie Jesu, die Familie Gottes. Diese will Jesus um sich versammeln. Er erwartet von uns, dass wir es anstreben, so eine Familie zu sein, wenn wir schon Christen sein wollen.